Keine Liebe ist so einzigartig und bedingungslos, wie die zwischen Mutter und Kind. Bereits mit den ersten aufkommenden Muttergefühlen in der Schwangerschaft entsteht ein emotionales Band zwischen ihnen. Zur Geburt vertieft sich dieses durch die ersten Blicke und Berührungen und wächst in den anfänglichen Wochen des Kennenlernens. Es bildet sich eine liebevolle, stabile Beziehung, die Mutter und Kind über alle Krisen hinweg trägt. Eine lebenslange Verbindung ist entstanden.
Das Neugeborene schreit laut und kräftig. Sofort wird es seiner Mutter nackig auf den Bauch gelegt und mit warmen, trockenen Tüchern zugedeckt. Sie können sich spüren. Die ersten vorsichtigen Berührungen und Küsse austauschen. Sie können sich riechen. Den ganz eigenen Geruch des anderen wahrnehmen. Mit leiser und leicht erhöhter Stimmlage flüstert die Mutter ihrem Baby Liebesbekundungen zu und wie sehr sie sich freut es jetzt in ihren Armen halten zu dürfen. Anfangs noch unruhig, kommt das Kleine bei ihr schnell zur Ruhe und gibt ebenfalls erste, zarte Laute von sich. Eine neue Phase voller verliebter Blicke und intensivem Körperkontakt beginnt. Aus dieser Szene geht hervor, wie emotional und entscheidend dieser Moment für die Bindung zwischen Mutter und Kind ist.
Doch nicht nur für die emotionale Bindung spielt dieser Augenblick eine entscheidende Rolle. Das Bonding, wie dieser intensive Haut-zu-Haut-Kontakt genannt wird, hat nachweislich auch auf die Körperfunktionen des Kindes einen positiven Effekt. So kann das Neugeborene durch den Hautkontakt und die Körperwärme der Mutter seine Temperatur besser halten und verbraucht weniger Energie. Zusätzlich ist es beim Kuscheln entspannter und weint weniger, was ebenfalls Kraft spart. Dadurch bleibt der Blutzucker stabil und die Kinder müssen weniger zugefüttert werden. Hinzu kommt, dass nach der Geburt die Lunge erstmalig mit Luft gefüllt wird, wofür das Fruchtwasser, welches vorher die Lunge füllte, verdrängt werden muss. Durch die sich ändernden Druckverhältnisse kommt es im Blutkreislauf des Babys zu einer komplexen Umstellung. Durch den regelmäßigen Herzschlag und die gleichmäßige Atmung der Mutter wird das Neugeborene auch in seiner Anpassung an die neuen Gegebenheiten unterstützt.
Insgesamt weisen alle Kinder stabilere Vitalzeichen auf, weshalb auch Kinder die per Kaiserschnitt geboren werden problemlos die Bondingphase mit ihrer Mutter erleben sollten. Selbst auf der Neonatologie, auf der ich arbeite, versuchen wir auch den allerkleinsten Frühgeborenen und ihren Müttern diese Möglichkeit zu bieten. Nach der Geburt wird das Frühgeborene von einer Pflegekraft und einem Kinderarzt oder einer -ärztin behutsam untersucht und zum Beispiel mit einer Atemhilfe oder Infusionen unterstützt. Um dem zu früh geborenen Kind möglichst wenig Stress zu bereiten, werden nur die notwendigen Maßnahmen zur Unterstützung des Kreislaufs und der Atmung unternommen. Im Anschluss werden Mutter und Kind wieder zusammen gebracht. Egal wie klein: Nach den Untersuchungen heißt es Mutter-Kind-Zeit. Das Frühgeborene wird ebenfalls nackig auf die Brust der Mutter gelegt. Nach dem Schock der frühzeitigen Beendigung der Schwangerschaft bietet dieser Moment viel Halt, schafft eine tiefe Verbindung und gibt Mutter und Kind die dringend benötigte Ruhe.
Auch im Nachhinein wird auf der Neonatologie der Hautkontakt zur Mutter oder anderen engen Bezugspersonen wie dem Vater zu therapeutischen Zwecken genutzt. Dieser therapeutische Hautkontakt wird auch Känguruen genannt. Studien beweisen, dass der häufige Körperkontakt bei Frühgeborenen zu einer höheren Gewichtszunahme, weniger Atempausen und besseren Entwicklung des Gehirns führen.
Das reife Neugeborene beginnt, nachdem es beim Bonding zur Ruhe gekommen ist, nach etwa einer halben Stunde sich mit suchenden Bewegungen langsam Richtung Brustwarze zu schieben. Nur aus zwingend medizinischen Gründen sollte diese Suche unterbrochen werden und routinemäßige Maßnahmen, wie das ermitteln des Gewichtes und der Körperlänge, im Anschluss erfolgen. Nach durchschnittlich einer Stunde erreicht das Baby die Brust, dockt selbstständig an und beginnt das erste mal an der Brust zu saugen.
Dieser frühzeitige Kontakt beeinflusst die Stillbeziehung positiv. Mütter lernen früh die Hungerzeichen ihres Kindes zu lesen. Zusätzlich ist die Stillfrequenz erwiesenermaßen höher und führt dadurch schneller zu einer ausreichenden Milchmenge. Auch Frühgeborene können beim Bonding und Känguruen bereits erste positive Erfahrungen an der Brust sammeln. Hierbei handelt es sich aber vorrangig um das Riechen und Spüren der Brust. Für ein intensives Saugen fehlt häufig noch die Kraft.
Nach der ersten Stillmahlzeit schläft das Kind, häufig gemeinsam mit seiner Mutter, zufrieden ein.
Doch Bindung entsteht wie anfangs beschrieben nicht nur in diesem einen Augenblick. Ein Zusammenspiel aus vielen verschiedenen Momenten, die Mutter und Kind gemeinsam erleben, lässt diese tiefe Verbundenheit entstehen. Sollte im Kreißsaal das Bonding nicht möglich gewesen sein, kann es jederzeit ausgiebig nachgeholt werden und bietet Raum für liebevolle Worte, Berührungen und ein intensives Kennenlernen.